Ausschuss Selbst-Vertretung zum Personal-Mangel
Aktuelles | 06.08.2025
Unterschriftensammlung für mehr Personal in Assistenz und Pflege
Damit das Lesen einfacher ist, steht im Text nur die männliche Form. Zum Beispiel: Selbst-Vertreter.
Damit sind aber alle Menschen gemeint: Frau, Mann oder divers. Divers bedeutet: anders oder verschieden. Zum Beispiel:
- Frauen, die sich als Männer fühlen.
- Männer, die sich als Frauen fühlen.
- Menschen, die sich nicht als Frau und nicht als Mann fühlen.
Es ist überall spürbar, dass es zu wenig Personal gibt, um Menschen mit Behinderungen ausreichend zu begleiten und gute Assistenz zu sichern.
Die Mitglieder des Ausschusses Selbst-Vertreter haben darüber geredet was sie in ihrem Alltag erleben. Diese Erfahrungen wurden hier aufgeschrieben. Der Landes-Vorstand der Lebenshilfe Bayern hat beschlossen, dass die Ergebnisse an viele Menschen in den Lebenshilfen und andere, die sich dafür interessieren, geschickt werden.
Um diese Punkte geht es im Papier:
- Bei welchen Angeboten fehlt Personal?
- Warum gibt es zu wenig Personal?
- Was bedeutet „gutes Personal“ für uns?
- Was ist der Unterschied zwischen Fach-Kräften und Nicht-Fach-Kräften?
- Was können wir tun?
- Unsere Forderungen
Bei welchen Angeboten fehlt Personal?
In den Wohn-Heimen:
- In manchen Wohn-Heimen werden die erwachsenen Bewohner schon um 20:00 Uhr ins Bett gebracht: Weil nur ein Mitarbeiter im Gruppen-Dienst ist und sonst bis zum Dienst-Ende um 22:00 Uhr nicht fertig werden würde. Aber: Das sind erwachsene Menschen, die möchten doch auch gerne länger aufbleiben.
- Dem Personal ist das übrigens auch nicht recht: Die haben immer Zeit-Druck. Das spüren wir immer wieder. Da bleibt keine Zeit für ein ruhiges Gespräch. Oder wenn wir mal besondere Fragen haben. Die haben immer Stress.
- Wenn ich zum Arzt gehe, will ich, dass jemand vom Personal mitgeht. Oft geht das aber gar nicht, weil nur eine „Fach-Kraft“ im Dienst ist, die dann die Wohn- Gruppe nicht verlassen kann, weil dort auch andere Menschen Unterstützung brauchen.
- Früher konnten wir im Sommer abends nochmal etwas unternehmen oder haben an den Wochen-Enden Ausflüge gemacht. Das geht jetzt überhaupt nicht mehr. Manchmal müssen wir in anderen Wohn-Gruppen zu Abend essen, weil bei uns niemand im Dienst ist.
- Wir können heuer wieder nicht in den Urlaub fahren. Es gibt im Haus nicht genug Mitarbeiter. Es heißt dann: Das Personal, dass da ist, wird dafür benötigt, um die Menschen mit Behinderungen im Alltag zu begleiten. Wir haben nicht genug, um an Urlaub-Reisen denken zu können. Solche Reisen sind Luxus. Stimmt das? Andere fahren doch auch in den Urlaub und ich habe extra Geld dafür gespart.
Beim ambulant betreuten Wohnen (oder: Assistenz beim Wohnen):
- Unser Dienst kann überhaupt keine neuen Menschen mit Behinderungen (es heißt bei uns: Klienten) mehr aufnehmen. Der Grund ist, dass kein Personal dafür da ist. Die Menschen müssen dann bei einem anderen Dienst um Assistenz anfragen. Was passiert eigentlich, wenn die anderen Dienste auch niemanden mehr unterstützen können?
- Wenn jemand nur ein paar Stunden Hilfe in der Woche braucht, ist es wohl am allerschwersten eine Assistenz zu bekommen.
- Bei uns hat man Personal, das schon in Rente war, wieder zurückgeholt.
In den Förderstätten:
- Wir haben immer wieder gehört, dass man den Eltern Bescheid gesagt hat, dass sie ihre erwachsenen Kinder nicht in die Förderstätte schicken sollen. Es gibt kein Personal und die Eltern müssen dann Urlaub nehmen, um daheim bleiben zu können. Die haben dann sicher auch Ärger mit ihrer Arbeits-Stelle.
- Bei uns werden sogar Bus-Fahrer gefragt, ob sie in der Förderstätte mitarbeiten wollen. Da fehlen immer Mitarbeiter, die die Pflege übernehmen. Können Bus-Fahrer gut pflegen?
Assistenz außerhalb von Einrichtungen:
- Es ist gerade total schwierig für mich, Assistenz- Kräfte zu finden, die mich zum Beispiel zu den Ausschuss-Sitzungen begleiten. Manche von uns konnten deshalb gar nicht mit zur Sitzung fahren, weil sie niemand hatten, der sie unterstützt. Es steht
zwar im Gesetz, dass es Assistenz geben soll, wenn man aber niemanden findet, hilft uns das Gesetz auch nichts.
- Einige Urlaubs-Fahrten bei den Offenen Hilfen können nicht durchgeführt werden. Da freut man sich schon lange auf seinen Urlaub und dann kommt man nicht weg, weil es keine Mitarbeiter gibt.
Bei den Fahr-Diensten:
- Bei uns fallen immer wieder Fahrten aus. Das bedeutet, dass wir entweder überhaupt nicht gefahren werden können. Oder wir kommen ewig zu spät. Das ist dann natürlich wieder schwierig in der Werkstatt.
In den Werkstätten:
- Uns fällt auf, dass es weniger Personal bei uns gibt.
- Schlimm war es, als unsere Werkstatt wegen zu vielen Corona-Erkrankungen beim Personal schließen musste.
Warum gibt es zu wenig Personal?
- Manchmal habe ich Angst, dass Mitarbeiter behinderte Menschen nicht mögen. Warum kriegen wir denn sonst keinen Nachwuchs mehr?
- Kann es sein, dass den Menschen der Mut fehlt, mit Menschen mit Behinderungen zu arbeiten? Vielleicht haben sie Angst, Fehler zu machen?
- Viele Menschen wollen eine regelmäßige Arbeits-Zeit haben. Abend- Dienst, Früh-Dienst oder Nacht-Bereitschaft im Wechsel zu haben, ist für viele Mitarbeiter nicht schön.
- Wir brauchen auch sehr gut ausgebildetes Personal. Die müssen uns gut verstehen, uns assistieren, viele Gesetze kennen und uns auch pflegen und beraten. Es gibt aber zu wenig gut ausgebildetes Personal.
- Andere wollen nicht mehr so viel Zeit in der Arbeit verbringen. Sie arbeiten Teil-Zeit.
- Unser Personal aus den Förderstätten arbeitet morgens im Wohn- Heim: Es hilft den Menschen mit Behinderungen aus dem Bett. Und danach müssen sie noch den ganzen Tag in der Werkstatt arbeiten. Bei so einer Überlastung sind die Sozial-Berufe alles andere als attraktiv.
- Viele junge Menschen, die ein Praktikum in unserer Einrichtung gemacht haben, sagen, sie mussten so viel Verantwortung übernehmen. Sie waren zum Beispiel als ungelernte Kräfte plötzlich alleine im Dienst. Und konnten niemanden fragen. Sie mussten Medikamente verabreichen und viele Dinge tun, die sie gar nicht konnten. Sie waren total überfordert. Solche Menschen werden doch nie wieder zu uns zum Arbeiten kommen. Oder diese Ausbildung machen.
- Wenn man oft alleine im Dienst ist und ständig überlastet, kommt nichts Gutes dabei raus: Das Personal wird krank, ist gestresst und wird unfreundlich. Obwohl es nicht so sein will.
- Es gibt überhaupt zu wenige Arbeits-Kräfte. In allen Bereichen: viele Menschen gehen in Rente, weniger junge Menschen kommen in den aktuellen Arbeits-Markt.
- Es ist auch nicht einfach, Personal aus dem Ausland außerhalb von Europa zu bekommen. Die Verfahren für die Arbeits-Erlaubnis für diese Länder sind kompliziert. Sie dauern lange und schrecken Bewerber ab.
Was bedeutet „gutes Personal“ für uns?
- Ich brauche einen geregelten Arbeits-Bereich. Gute Mitarbeiter helfen mir und der Gruppe beim Organisieren des Bereiches, damit es kein Chaos gibt,
- Gute Mitarbeiter sollten
- die Menschen verstehen und auf sie eingehen.mit Herzblut dabei sein.auf unsere Bedürfnisse eingehen.nicht nur nach „Schema F“ vorgehen.Zuhören.
- Ich habe es schon oft beobachtet: viele junge Mitarbeiter sind beim Einstieg total motiviert. Nach einiger Zeit brennen einige dann aus.
Was ist der Unterschied zwischen Fach-Kräften und Nicht-Fach-Kräften?
Der Ausschuss diskutiert:
- Menschen mit besonderen Bedarfen brauchen schon Fach-Kräfte, weil die sich besser auskennen.
- Haupt-Sache die Chemie stimmt
- Ich kann vieles selber, ich brauche nicht unbedingt eine Fach-Kraft.Eine Mischung aus Fach-Kräften und Nicht-Fach-Kräften ist am besten.
- Fach-Kräfte organisieren den Alltag, sie haben eine hohe Verantwortung, sie haben aber auch wenig Zeit.
Was können wir tun?
Beim großen Selbst-Vertreter-Kongress im Dezember 2023 wurde über das Papier mit vielen Menschen mit Behinderungen diskutiert:
Die Selbst-Vertreter wollen unbedingt etwas dafür tun, um mehr Menschen für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen zu begeistern.
- Wir Selbst-Vertreter gehen mit Wohn-Heim-Mitarbeitern in die Schulen bei uns am Ort. Dort erzählen wir, wie schön es bei uns ist und dass wir Personal suchen. Vielleicht kommt das bei den Schülern ja gut an?
- Bei uns werden Plakate gedruckt: Wir suchen Personal. Ich habe auch schon im Radio gehört, dass wir dort nach Mitarbeitern suchen. Gut wäre es, wenn wir selber etwas im Rundfunk sagen könnten.
- Wir Selbst-Vertreter müssen auf den Ausbildungs-Messen auftreten und für die Arbeit bei uns werben.
- Gute Anleitung für neues Personal ist wichtig! Oft wissen wir auch, was getan werden muss und sagen das den neuen Mitarbeitern.
- Wir haben mit unserem Fußball-Verein zusammen einen Werbe-Film gemacht. Wir wollen damit auch junge Menschen ansprechen.
- Wie wäre es, wenn es ein soziales Pflicht-Jahr gäbe? Dann könnten viele junge Menschen bei uns „schnuppern“ und merken, dass es Spaß macht, bei uns zu arbeiten.
- Bei uns werden immer wieder Informations-Abende veranstaltet, in denen wir und die Mitarbeiter den Gästen zeigen, wie es bei uns ist.
- Wir müssen direkt mit der Politik sprechen.
- Alle müssen etwas zusammen machen: die Lebenshilfe gemeinsam mit den anderen Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern.
Unsere Forderungen:
- Es ist wichtig, dass wir bei den Personal-Einstellungen beteiligt werden. Wir merken oft schnell, ob jemand eine gute „Haltung“ zu uns hat oder nicht.
- Der Personal-Mangel ist ein Grund dafür, dass unsere Teil-Habe am Leben in der Gesellschaft stark eingeschränkt ist:
Wir fordern, dass die Politik das Problem einmal wirklich und aus vollem Herzen angeht.
Wir Menschen mit Behinderungen können auch nichts dafür, dass wir von anderen Menschen abhängig sind.
Erlangen, Mai 2024